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WU Data Science Projekt analysiert die Social Media Kommunikation in Notsituationen, die durch Anschläge und Amokläufe ausgelöst wurden

WU Data Science Projekt analysiert die Social Media Kommunikation in Notsituationen, die durch Anschläge und Amokläufe ausgelöst wurden

(Donnerstag, 04.April 2019, 09:15 MESZ)

Eine von WU-Wissenschaftlern durchgeführte und Ende März 2019 erschienene Studie liefert Erkenntnisse darüber, wie sich Anschläge und Amokläufe auf die Emotionen und die Kommunikation der Nutzer von sozialen Medien auswirken. Im Rahmen der Studie wurden fünf verschiedene Ereignisse in drei verschiedenen Ländern (Deutschland, Frankreich, USA) untersucht.

Zusammenfassung



Abbildung 1: Nachrichtenfrequenz und Intensität der Emotionen, die im Zusammenhang mit den fünf untersuchten Ereignissen aufgetreten sind.

In einem aktuellen Data Science Forschungsprojekt aus dem Kontext der rechnergestützten Sozialwissenschaft (engl.: computational social science) untersuchen Mag. Ema Kušen und Prof. Mark Strembeck vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien, welche Emotionen verschiedene Arten von Ereignissen auslösen und welche Effekte diese Emotionen für die Kommunikation in sozialen Medien (wie z.B. Facebook, Twitter oder YouTube) haben.

Der Schwerpunkt der aktuellen Studie lag auf der Frage, wie sich durch Anschläge und Amokläufe ausgelöste Notsituationen auf die Kommunikation von Twitter-Nutzern auswirken. Das besondere Interesse galt hierbei der Identifikation von Kommunikationsmustern, die sich durch den Austausch emotionaler Nachrichten ergeben. Hierzu wurde das von Ema Kušen und Mark Strembeck neu entwickelte Konzept der "Emotion-Exchange Motifs" angewendet. Die Analyse derartiger Muster ist aus verschiedenen Gründen interessant. Zum einen hilft die Identifikation typischer Kommunikationsmuster dabei, ein besseres Verständnis der Kommunikation in sozialen Medien zu erreichen. Diese Erkenntnisse können wiederum dazu beitragen, die Ausbreitung von erwünschten oder unerwünschten Nachrichten (z.B. Propaganda) nachzuvollziehen. Nicht zuletzt können diese Muster zur Erkennung von sogenannten "Social Bots" beitragen (siehe z.B. [KS2018]).

Vorgehen



Abbildung 2: Vorgehen zur Gewinnung und Analyse der Daten

Zunächst wurden mit Hilfe der öffentlichen Programmierschnittstellen, die von Twitter zur Verfügung gestellt werden, systematisch Datensätze zu den verschiedenen Ereignissen gesammelt. Anschliessend wurden die Daten in anonymisierter Form analysiert. In der nun vorliegenden Studie sind die folgenden fünf Ereignisse untersucht worden (siehe auch Abbildung 1):

  • November 2017: Amoklauf in Nord-Kalifornien (5 Tote inklusive des Täters und mehrere Verletzte; eine potentiell weit größere Anzahl von Toten konnte verhindert werden, da der Täter aufgrund rechtzeitg verriegelter Türen nicht in eine Grundschule eindringen konnte).
  • März 2018: Supermarkt Geiselnahme in Trèbes, Frankreich (5 Tote inklusive des Täters und mehrere Verletzte).
  • April 2018: Amoklauf am Google Hauptsitz in San Bruno, Kalifornien (die Täterin richtete sich selbst nachdem sie drei Personen angeschossen hatte).
  • April 2018: Amokfahrt in Münster, Deutschland (3 Tote inklusive des Täters, mehr als 20 zum Teil lebensgefährlich Verletzte. Mehr als drei Monate nach der Tat erlag ein viertes Opfer seinen Verletzungen).
  • Mai 2018: Amoklauf an einer Schule in Santa Fe, Texas (10 Tote, 13 Verletzte).

Die Analysen umfassen sowohl strukturelle Netzwerkanalysen, als auch temporale Analysen der Auswirkungen von verschiedenen Emotionen (Abscheu, Furcht, Traurigkeit, Wut, sowie Erwartung, Freude, Vertrauen und Überraschung, [KCFCS2017]). Im Unterschied zu den meisten vorhergehenden Untersuchungen (z.B. [KSC2019]) stand bei der aktuellen Studie insbesondere die strukturelle Analyse der Kommunikationsbeziehungen von Twitter-Nutzern und die Identifikation von "Emotion-Exchange Motifs" im Fokus.

Ergebnisse



Abbildung 3: Vorgehen zur Identifikation von Emotion-Exchange Motifs

Wie erwartet haben am Tag des jeweiligen Anschlags oder Amoklaufs Twitter-Nachrichten dominiert, die Furcht, Traurigkeit und Wut transportieren. Bald nach diesen ersten Reaktionen kommen jedoch Nachrichten hinzu die positive Emotionen transportieren und insbesondere Mitgefühl und Trost ausdrücken. Dieses Resultat deckt sich mit den Erkenntnissen aus vorhergehenden Studien und kann als eine erneute Bestätigung der sogenannten "Undoing Hypothesis" gesehen werden (für weitere Details siehe z.B. [KSC2019]).

Neben der temporalen Analyse der auftretenden Emotionen, stand bei der aktuellen Studie jedoch inbesondere die Identifikation typischer Kommunikationsmuster im Fokus, die sich beim Austausch emotionaler Nachrichten über soziale Medien ergeben. Hierzu wurde das neu entwickelte Konzept der "Emotion-Exchange Motifs" angewendet. Dieses Konzept wurde auch bereits erfolgreich in einer vorhergehenden Studie zum Kommunikationsverhalten im Kontext von Aufständen und Unruhen eingesetzt (siehe [KS2018]).

"Emotion-Exchange Motifs" sind eine spezielle Art von "Network Motifs". Hierbei handelt es sich um statistisch signifikante Netzwerkmuster, d.h. Muster, die nicht zufällig auftreten. Zur Identifikation von "Emotion-Exchange Motifs" müssen unter allen Kommunikationsmustern, die in einem Netzwerk auftreten, somit diejenigen gefunden werden, die sich tatsächlich aus dem Kommunikationsverhalten in sozialen Medien ergeben und nicht zufällig in jedem größeren Netzwerk auftreten. Hierzu werden die Kommunikationsmuster, die in einem realen sozialen Netzwerk gefunden werden, mit den Mustern verglichen, die in künstlich generierten Netzwerken mit ähnlichen strukturellen Eigenschaften (sogenannten "Null Models") auftreten (siehe auch Abbildung 3). Muster, die signifikant häufiger im realen Netzwerk auftreten, sind somit nicht zufällig sondern lassen sich auf typisches Kommunikationsverhalten der Nutzer sozialer Medien zurückführen.



Abbildung 4: Charakteristische Emotions-Exchange Motifs für die Kommunikation von Wut und Furcht

Im Rahmen der fünf untersuchten Ereignisse konnten in Summe neun unterschiedliche "Emotion-Exchange Motifs" identifiziert werden. Ein interesssantes Ergebnis ist hierbei, dass "Emotion-Exchange Motifs", die einen bilateralen Austausch von Nachrichten beinhalten, ausschließlich in Kommunikationsbeziehungen gefunden werden konnten, in denen entweder Wut oder Furcht oder beide dieser Emotionen ausgetauscht wurden. Andere negative Emotionen, wie z.B. Traurigkeit, tauchen dagegen hauptsächlich in Kommunikationsmustern auf, die Einwegkommunikation beinhalten (d.h. Nachrichten, die an Empfänger verschickt, jedoch nicht beantwortet werden). In ähnlicher Form bilden Kommunikationsmuster, die den Austausch von positiven Emotionen beschreiben, ebenfalls hauptsächlich Einwegkommunikation ab. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass negative Emotionen, die mit starker Erregung in Verbindung stehen (Wut und Furcht), besonders geeignet sind, um Social-Media-Debatten auszulösen. Als weitere Folge können Nachrichten, die Wut oder Furcht transportieren, auch verwendet werden, um die Nutzer sozialer Medien zu Antworten zu provozieren und damit zur Verbreitung einer Nachricht beizutragen.

Darüber hinaus liefert die neue Studie empirische Belege für das Auftreten genau der Emotionen, die auch laut vorhergehenden Untersuchungen, wie z.B. dem "Integrated Crisis Management" (ICM) Modell, für Anschläge und Amokläufe zu erwarten sind. Das ICM Modell basiert auf ("offline") Studien der Emotionen, die in den Artkeln verbreiteter Tageszeitungen im Kontext verschiedener Krisensituationen kommuniziert werden. Die neuen Ergebnisse liefern somit Hinweise darauf, dass selbst kurze Social Media Nachrichten (wie Tweets) bereits ein ausreichender Indikator für die Identifikation von öffentlich ausgedrückten Emotionen sind.

Eine weitere interessante Erkenntnis, die in einer vorhergehenden Studie [KS2018] erlangt wurde, deutet darauf hin, dass bei der Kommunikation von Menschen mit "Social Bots" (das sind Software Programme, die automatisiert über soziale Medien kommunizieren), ebenfalls charakteristische "Emotion-Exchange Motifs" auftreten.

Weiterführende Literatur:

  • [KS2019] E. Kušen, M. Strembeck: An Analysis of Emotion-exchange Motifs in Multiplex Networks during Emergency Events, In: Applied Network Science, Vol. 4, März 2019

  • [KSC2019] E. Kušen, M. Strembeck, M. Conti: Emotional Valence Shifts and User Behavior on Twitter, Facebook, and YouTube, In: Influence and Behavior Analysis in Social Networks and Social Media, Lecture Notes in Social Networks (LNSN), Springer, Februar 2019

  • [KS2018] E. Kušen, M. Strembeck: Investigation of Emotion Exchange Motifs in Bot/Human Interactions during Riot Events, In: Proc. of the 5th International Conference on Social Networks Analysis, Management and Security (SNAMS), IEEE, Valencia, Spain, October 2018

  • [KCFCS2017] E. Kušen, G. Cascavilla, K. Figl, M. Conti, M. Strembeck: Identifying Emotions in Social Media: Comparison of Word-emotion lexicons, In: Proc. of the 4th International Symposium on Social Networks Analysis, Management and Security(SNAMS), IEEE, Prague, Czech Republic, August 2017


Kontakt:
Mark Strembeck
Ema Kušen